Das Märchen von der Tonnenbrücke in Grimma

Die 1876 errichtete Tonnenbrücke in Grimma, war nicht nur eine bekannte und einmalige Sehenswürdigkeit, sondern sollte vor allem die Stadt mit der Badeanstalt und dem Stadtwald verbinden. Sie hatte jedoch den Nachteil, dass sie nur von Ostern bis Ende Oktober betrieben werden konnte, da die Mulde im Winter zuviel Wasser und Eis führte. Nach ihrer Zerstörung 1922 entstand ein Märchen das eine ganz eigene Erklärung für die Erbauung der Tonnenbrücke lieferte. Es wurde 1923 mit der Absicht geschrieben, die Wiederherstellung einer trockenen Verbindung zum Stadtwald zu beschleunigen, welche damals in unabsehbarer Ferne lag. Verfasst hat das Märchen Johanna Zietzschmann, unter dem Pseudonym „Johanna Frohmut“. Sie war auch die Autorin vom Märchen des Gesundbrunnens, in dessen Einleitung Angaben zu ihrer Biographie stehen.

Das Märchen, das sie der Tonnenbrücke widmete, lautet wie folgt:

Kurz bevor die Mulde an die Stadt Grimma herantritt, bildet sie ein scharfes Knie, und es steigen an ihrem linken Ufer die Felsen zur Gattersburg empor. Dort in jenen Felsenspalten lebte einstmals das kleine Volk der Zwerge. Bei Tage ließen sie sich von keinem Menschenauge erblicken. Wenn aber die Nacht herbeikam und der liebe Mond schien, dann tummelten sie sich munter auf der Wiese, die sich vor ihrem Felsen bis zur Mulde hinabzog. In schönen Frühlings- und Sommernächten geschah es oft, daß sie sich dicht an das Ufer stellten und sehnsüchtig nach der anderen Seite der Mulde blickten, von wo aus der grüne Wald lockend zu ihnen hinüberwinkte. Aber es gab weder Weg noch Steg, der von ihnen zum Walde führte, und beim ersten Morgengrauen kehrten sie mürrisch in ihre Felsenspalten zurück.

Einst, als es wieder Frühling werden wollte im Lande und sich das Zwergenvolk zum ersten Mal nach der Winterruhe auf der Muldenwiese tummelte, trat der alte Zwerg Haberecht hervor und sprach: „Hört, liebe Brüder und Schwestern, ich habe euch etwas zu sagen“. Alle drängten sich neugierig an ihn heran, denn er galt für einen weisen Mann. Er wiegte den grauen Kopf bedächtig hin und her und begann mit seiner etwas zittrigen, aber klaren Stimme: „Ihr wißt, wie unsere Sehnsucht von früher Kindheit an hinübergewandert ist in den grünen Wald. Und allen Zwergengeschlechtern war es so ergangen. Da hat es mir keine Ruhe gelassen: ich habe mein Leben lang gesucht und gesonnen, wie wir uns einen Weg bahnen könnten durch die wilden Wogen der Mulde. Denn wild und schier unergründlich sind diese Fluten und reich an lauernden Gefahren, das wisst ihr alle. Denkt ihr noch daran, wie im letzten Sommer unser lieber Bruder Fürchtenichts die Flut durchschwimmen wollte und jämmerlich dabei umkam? Und wir wissen heute noch nicht, ob ihn ein Hecht verschlungen hat oder ob ihn die bösen Wassergeister in die Tiefe gezogen haben …

Und auch auf dem Landwege ist der Wald für uns nicht zu erreichen. Wisst ihr noch, wie unsere fürwitzige Schwester Tunichtgut eines Nachts durch die Stadt und über die große Steinbrücke hinübergewandert war und wie sie dann am frühen Morgen auf dem Rückweg einem bissigen Hund zum Opfer fiel, der nichts weiter von ihr übrig ließ als ein armes Häuflein Knochen?“ Wehmütig hielt der Alte bei diesen Worten inne, auch war aus der Sippschaft des Zwerges Fürchtenichts und der Zwergin Tunichtgut ein leises Schluchzen zu hören.
Nach einer Weile fuhr der greise Zwerg Haberecht bedächtig fort: „Als im letzten Herbst die Mulde hohes Wasser führte und allerhand Schwemmgut vorüber schwamm, da erblickte ich eine große hölzerne Tonne. Ein struppiges Hündlein hatte sich auf die Tonne gerettet und fuhr darauf so sicher durch die Fluten wie auf einem festen Schiff. Da dachte ich bei mir: wenn die Tonne ein Hündlein tragen kann, so ist ihr auch ein Zwerglein nicht zu schwer. Und nun hört meinen Rat: sollte es nicht möglich sein, eine Tonne an die andere zu fügen, Bretter und Balken darüberzulegen und so einen sicheren Steg von uns aus zum Walde hinüberzubauen? Was meint ihr dazu?“

Kaum hatte der Zwerg geendet, da erhob sich ein lautes Stimmengewirr, denn jeder wollte zuerst seine Meinung kund tun. Alle aber waren darin einig, daß der Plan ausgeführt werden sollte. Es wurde beschlossen, daß jeder Zwerg bis zur nächsten Vollmondnacht Tonnen, Bretter und Balken in der ganzen Stadt auskundschaften sollte. Diese sollten dann herbeigeholt werden. Jung und alt freute sich ganz närrisch auf den Bau der Tonnenbrücke.
Der kluge Ratgeber, der alte Zwerg Haberecht, wurde im Triumph auf den Schultern in seine Wohnung getragen. Die Zwergenjungen aber schossen vor Freude Purzelbäume auf der feuchten Wiese und zählten, wer die meisten hintereinander fertig brächte.

Die Vollmondnacht war gekommen. Die Zwergenkundschafter hatten fleißig Ausschau gehalten und viel Brauchbares entdeckt. Dort lagen in einem Kaufmannshof leere Heringsfässer, hier im Brauereihof Bierfässer in Menge, und hinter dem alten Ratskeller wollte ein Zwerglein sogar Weinfässer gesehen haben. Bretter und Balken hatten sie beim Baumeister, Tischler und Zimmermann ausfindig gemacht.
Als der Vollmond über dem Walde heraufstieg, teilte der alte Haberecht sein Zwergenheer in Gruppen von je zehn Mann ein, die zogen aus und schleppten herbei, was sie nur finden konnten. Das gab ein Ziehen und Schieben, Rollen und Poltern! Und mancher Bürger der Stadt Grimma, der einen leisen Schlaf hatte, meinte in jener Nacht, dass ein Frühlingsgewitter heraufzöge.
Endlich war alles herbeigeschafft und auf der Muldenwiese aufgestapelt worden. Und nun ging es ans Bauen! Vorsichtig wurde eine Tonne um die andere an festen Stricken ins Wasser gelassen, Bretter und Balken darübergelegt und sogar ein handfestes Geländer wurde zu beiden Seiten aufgerichtet. Die kleine Zwergenschar arbeitete mit einem solchen Feuereifer, daß ihnen der Schweiß in Bächen von der Stirn lief. Und als der erste Hahnenschrei erklang und der Morgen heraufdämmerte, da taten sie den letzten Hammerschlag und eilten zurück in ihre Behausungen. Die Morgensonne aber lachte von einem Ohr bis zum anderen, als sie über dem Walde aufging und das Wunderwerk der fleißigen Zwerge erblickte!
Noch viel größer aber war die Freude bei den Menschen! Derjenige, welcher die Tonnenbrücke als Erster entdeckte, war ein Bäckerjunge, der am frühen Morgen seine Semmeln austrug. Kaum hatte er den neuen Wassersteg erblickt, als es ihn gelüstete, darauf zu gehen. So kam es, daß er später als sonst mit seinen Semmeln erschien. Doch ließ er sich durch die verdrossenen Blicke seiner Kunden nicht beirren, sondern erzählte ihnen flugs das Wunderbare. Da ließen sie alles stehen und liegen und eilten hinab zum Muldensteg. Und bald sprang das Gerücht von der neuen Brücke wie ein Lauffeuer durch die Stadt und die Schuljungen sangen auf den Straßen: „Die Brück‘ ist da – hurra hurra!“ Darauf wanderte die ganze Stadt Grimma in großen Haufen hinaus, denn jeder wollte das Wunderwerk bestaunen und ausprobieren. Und den heimlichen Erbauern, die niemand recht erraten konnte, wurde dabei viel Gutes nachgesagt. Die Alten freuten sich, daß ihnen der Wald so nahe vor ihre Türe gerückt war. Die Mütter konnten mit ihren Kinderwagen bequem hinüberfahren und die Kinder liefen mit ihrem Spielzeug flink in den Wald.
So war die neue Brücke tagsüber reich belebt. Des Nachts aber, wenn die Menschen schlafen gegangen waren und nur der Nachtwächter noch auf den Beinen war, da konnte man auf der Brücke ein seltsames Trippeln und Trappeln von vielen kleinen Füßen hören. Das waren die Zwerge, die nun in hellen Scharen von ihren Felsen in den nahen Wald hinüberströmten. Das gab ein Jubeln und Jauchzen, ein Singen und Springen ohne Ende, denn ihre Sehnsucht war erfüllt! Unter den Waldbäumen trieben sie im Mondschein ihr munteres Wesen, und die alten Wipfel rauschten leise zu ihren Tänzen und Liedern. Oft standen sie auch scharenweise auf der Brücke und blickten lange in die treibenden Fluten hinab, bis sie meinten, auf einem großen Schiff zu stehen und selbst auf dem Wasser dahinzutreiben. Oder sie setzten sich in Reihen auf den Rand der Brücke, hielten sich am Geländer fest und ließen die Füße ins Wasser hängen. Und wenn sie dann den Mond wie eine helle Scheibe und die Sterne wie blanke Teller auf dem Wasser liegen sahen, so klatschten sie vor Freude in die Hände.

Die einzigen, welche die neue Brücke missmutig ansahen, das waren die Wassergeister. Es war ihnen ein Greuel, daß sie auf ihren nassen Rücken diese schwere Last tragen sollten. Noch dazu, wenn sie mit Menschen und Zwergen beladen war! Dann versuchten die übelgelaunten Geister oft, die unbequeme Last abzuschütteln. Doch vergeblich! Die Brücke war mit so festen Tauen am Ufer angebunden, daß sie nicht nachgab. Doch war an dem Schweben und Schwanken des Steges der Missmut der bösen Geister wohl zu merken. Auch den ehrsamen Bürgern der Stadt entging das Schwanken nicht und es wurde ihnen dabei unheimlich zumute. Sie stellten darum eine Warntafel mitten auf die Brücke, mit den Worten: „Alles mutwillige Schaukeln auf der Brücke ist bei 5 Mark Strafe verboten.“ Auch bauten sie ein Häuschen auf der Stadtseite des Steges und setzten ein ehrwürdiges altes Mütterchen hinein, das gute Ordnung halten und einen bescheidenen Brückenzoll verlangen musste. Im Herbst, wenn die Wassergeister ihr wildestes Spiel zu treiben begannen, zogen die besorgten Bürger den gefährdeten Muldensteg ans linke Ufer herüber und brachten ihn in sicheren Gewahrsam und erst im Frühjahr, wenn die Bäume ausschlugen und die Wassergeister sich ausgetobt hatten, dann wurde der Steg wieder ins Wasser gelassen.

So ging es Jahr um Jahr und die Stadt Grimma liebte ihren Muldensteg und hätte ihn nicht um alles Gold der Erde weggegeben. Auch zogen die Fremden jeden Sonntag von nah und fern herbei und lustwandelten darüber in den schönen Wald hinein. Und es wäre wohl so weitergegangen bis ans Ende der Welt, wenn nicht ein schlimmes Jahr gekommen wäre. Das war der nasse Sommer 1922. Da waren die Schleusen des Himmels schier unaufhörlich geöffnet und die nassen Wolken- und Nebelgeister tanzten einen unheimlichen Reigen mit den Wassergeistern der Mulde. Da fassten jene Mut, und sie beschlossen insgeheim, die verhasste Tonnenbrücke nun endlich im Herbst mit Gewalt zu zerbrechen. Wohl ahnten die Bürger etwas Schlimmes und versuchten, ihr teures Gut zu retten. Allein es war zu spät! Die entfesselten Muldengeister sprengten das drückende Joch und trieben die Trümmer stromabwärts. Ja selbst Menschenleben kamen dabei in Gefahr. Drei unerschrockene Männer, die den Steg ans Ufer ziehen wollten, wurden mit einem Teil der Brücke von den tobenden Wassern entführt und über das Wehr hinweggespült. Und wenn ihnen nicht ein mutiger Bootsmann mit seinen braven Töchtern zu Hilfe gekommen wäre, so wäre ihnen ein nasses Grab sicher gewesen. Die Trümmer der Brücke aber trieben weiter und weiter, von Strom zu Strom, von Meer zu Meer, von Küste zu Küste. Es soll sogar eine Tonne bis nach Grönland geschwommen und von den erfreuten Eskimos als Tranfaß benutzt worden sein.

Und als das Frühjahr 1923 anbrach, da war es wie in alten Zeiten. Weder Weg noch Steg führte von der Gattersburg zum Walde herüber. Aber die Zwerge, die Zwerge? Ja weißt du das nicht?! Die sind längst verschwunden, seitdem die neugierige Schneidersfrau ihre Erbsen auf die Treppe gestreut hat um die kleinen Leute zu belauschen und leibhaftig zu sehen.
So stehen nun die ehrsamen Bürger von Grimma am linken Ufer und blicken, wie einst die Zwerge, sehnsüchtig zum grünen Wald hinüber. Und nur der ist glücklich dran, wer gut schwimmen kann und sich nicht vor Hechten und Wassergeistern fürchtet.

Am 6. Oktober 1922 wurde die Tonnenbrücke endgültig durch Hochwasser zerstört. Dabei spielte sich die Zerstörung der Brücke weit dramatischer ab, als in dem Märchen beschrieben. Gegen Mittag machte sich Louis Barthel mit 6 seiner Zimmerleute daran die Brücke ans Ufer zu ziehen. Allerdings hatte die Mulde bereits so viel Schwemmgut gegen die Brücke gespült, dass sich das Mittelteil aufbäumte und die Brücke, samt der sich darauf befindenden Männer, gegen 14.00 Uhr umkippte und auseinanderriss. Während sich Baumeister Barthel und Polier Malke an den Stahlseilen ans Ufer retten konnten, klammerten sich die verbliebenen fünf Zimmerleute an das Mittelstück und trieben über das Wehr flussabwärts. An der Muldeninsel zerschellte jedoch auch das Reststück. Glücklicherweise nahte nun die Rettung in Form von Herrn Gröschel, welcher die Badeanstalt unterhalb des Wehres betrieb, seinem Schwiegersohn und seinen Töchtern. Das Aufnehmen der Männer gestaltete sich allerdings recht schwierig, da immer wieder Tonnen und Treibgut unter die beiden Kähne kam. Was von der Brücke noch heil geblieben war, zerbarst an der Steinbrücke und spätestens hier wurde deutlich, in welcher Lebensgefahr sich die Männer befunden hatten.

An einen Ersatz der Brücke war in Zeiten der Inflation zunächst nicht zu denken. Von den 119 Tonnen konnten nur 60 geborgen werden und Balken und Bretter waren ganz verloren. Ein Kostenvoranschlag des Baumeisters Barthel vom Januar 1923 belief sich auf etwa 12,6 Millionen Mark, während der Wert des noch vorhandenen Materials mit reichlich 4,5 Millionen Mark veranschlagt wurde. Dennoch bildete man im Februar einen Ausschuss, der sich um den Wiederaufbau bemühte. Als sich der Stadtrat Mitte März wieder mit der Frage befasste, betrugen die Kosten jedoch schon 40 Millionen Mark. Provisorisch wollte man den Fußsteg über die Eisenbahnbrücke benutzen, was jedoch die Bahnverwaltung untersagte und so konnte ab Pfingsten 1923 nur ein Fährbetrieb aufgenommen werden.

Bei dieser Sitzung kam man auch auf den früheren Plan zurück, eine feste Brücke zu errichten. Bereits 1904 hatte die Stadt Kostenvoranschläge für eine dauerhafte Brücke eingeholt, die zwischen 18000 und 62000 Mark lagen. Der Laufsteg dieser Brücke sollte sich damals sieben Meter über den Normalwasserspiegel befinden. Interessanterweise hat man damals den Bau nicht wegen der Kosten abgelehnt, sondern weil man befürchtete, dass eine Hängebrücke zu sehr schwanken würde. Zwanzig Jahre später holte man im Januar 1924 erneut von vier Firmen Kostenvoranschläge ein. Nachdem die Firma Bleichert ihren ursprünglichen Plan noch einmal überarbeitete, um die Kosten zu senken, beschloss der Stadtrat Ende April den Bau. Am 26. Mai begann die Errichtung und genau zwei Jahre nach dem Verlust der Tonnenbrücke wurde die neue Brücke am 6. Oktober fertiggestellt. Sie kostete insgesamt etwa 56000 Goldmark und wurde am darauffolgenden Sonntag, dem 12. Oktober 1924 eingeweiht. In der Folge blieb auch die Hängebrücke nicht von schweren Schäden bewahrt. Nachdem sie im Zweiten Weltkrieg gesprengt wurde, erlitt sie immer wieder Schäden durch Hochwasser, zuletzt 2013.
So stehen auch heute die Grimmaer am linken Ufer der Mulde und blicken sehnsüchtig zum Stadtwald herüber…

Wege über die Mulde

Die Geschichte der Muldenübergänge unterhalb der Gattersburg geht bis auf das Jahr 1866 zurück. Doch schon Ende der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts soll zwischen der Insel unterhalb des Wehres und dem Stadtwald ein Brettersteg bestanden haben. Zu der Insel musste man waten oder schwimmen. Mit dieser einfachen Einrichtung gelangte man damals zu einen Badeplatz, der sich in etwa an der Stelle des heutigen Ruderclubs befand. Als Zimmermeister Sander im Sommer 1866 an dieser Stelle eine richtige Badeanstalt errichtete wurde eine bessere Verbindung zwischen den Muldenufern nötig. Zu diesem Zweck baute er einen Steg oberhalb des Wehres. Es war ein einfacher Holzsteg der auf Baumstämmen ruhte und an einem über die Mulde gespannten Drahtseil befestigt war.

Urkundlich erwähnt wurde dieser Übergang 1871 durch einen Beschwerdebrief der Amtshauptmannschaft an die Stadt Grimma. Anlass hierzu war der schlechte Zustand des Stegs, der schon an zwei Stellen gebrochen war und trotzdem nicht gesperrt wurde. An dem schlechten Zustand änderte sich zwar nichts, aber Sander wurde verpflichtet, bei Hochwasser den Steg zu sperren und an beiden Seiten Warntafeln mit der Aufschrift: „Übergang jetzt gefährlich, daher verboten“ aufzustellen. Dieser erste feste Übergang bestand bis 1872. Da Sander nicht bereit war, ohne städtische Zuschüsse einen neuen Steg zu errichten, bemühte sich der Rat 1873 um einen Brückenbau. Hierfür erbat der Stadtrat vom Kriegsministerium zehn ausgediente Pontons, welche er aber scheinbar nicht bekam. Jedenfalls konnte die Pontonbrücke nicht gebaut werden und bis 1876 mussten die Grimmaer auf eine schnelle Verbindung zum Stadtwald verzichten.

Am 5. Februar 1876 richteten sechs Grimmaer ein Gesuch zur Errichtung einer Tonnenbrücke an den Stadtrat. Das Konsortium bestand aus dem Gastwirt Krostitz, den Baumeistern Richard und Robert Barthel, den Zimmermeistern Hentschel und Sander sowie dem Stadtbaudirektor Sinz. Letzterer lieferte die statische Berechnung und den Plan. Ausgeführt wurde die Brücke von den Baumeistern Barthel, welche auch die Wartung und das Einholen im Winter besorgten. Die Brücke wurde nicht nur zu einem finanziellen Erfolg, sondern auch ein neues Wahrzeichen der Stadt. So bemühte sich die Stadt seit 1902 um Anteilscheine, von denen sie allerdings erst 1916 zwei erwerben konnte. Die Brücke war jedoch anfällig für Naturgewalten und wurde zweimal durch Hochwasser zerstört. Das erste Mal am 21. September 1906, als die städtische Badeanstalt von den Fluten losgerissen wurde und gegen die noch nicht ganz eingeholte Brücke prallte. Das Ende kam, wie im Märchen beschrieben, beim Hochwasser 1922.

Trotz der schwierigen Zeitumstände nach dem verloren Krieg bemühte sich der Stadtrat nun um eine ganzjährige Verbindung über die Mulde. Erste Pläne zur Errichtung einer Hängebrücke gab es bereits 1904, sie wurden aber bereits im Frühjahr 1906 wieder aufgegeben. Am 25. April 1924 beschloss der Stadtrat bei sechs Gegenstimmen die Errichtung einer Hängebrücke. Diese Entscheidung bedeutete auch das endgültige Aus für eine Wiedererrichtung der Tonnenbrücke, welche nach einem erneuten Angebot der Firma Barthel mit etwa 3000 Goldmark deutlich günstiger gewesen wäre. Den Zuschlag zur Errichtung einer Hängebrücke erhielt schließlich die bekannte Firma Adolf Bleichert & Co. aus Leipzig, nachdem sie ihr ursprüngliches Angebot noch einmal überarbeitete. Die Kostensenkung auf 40190 Goldmark ergab sich aus der Einbeziehung des Steinknöchels, wodurch die Brücke um ca. 10m verkürzt werden konnte, und einer Schwächung der Tragseile, welche nur auf vierfache Bruchsicherheit, statt der üblichen Fünffachen, berechnet wurden. Am 2. Mai wurde der Auftrag zum Brückenbau an die Firmen erteilt. Die Genehmigung der Amtshauptmannschaft erhielt man am 26. Mai. Der Bau begann noch am selben Tag und wurde am 6. Oktober abgeschlossen. Als der Landesverein sächsischer Heimatschutz und das Landesamt für Denkmalpflege vom Brückenbau Kenntnis erhielten, erhoben beide Einspruch gegen die geplante „Verunstaltung des Landschaftsbildes“, welche, so der Heimatschutz, an die Verschandelung des Elbtales durch das „Blaue Wunder“ erinnere. Beide Parteien favorisierten den Bau einer neuen Tonnenbrücke, wurden aber vom Stadtrat vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Einweihung erfolgte am 12. Oktober, unter großer Anteilnahme der Bürgerschaft, mit einer schlichten Feier. Die Gesamtkosten erhöhten sich von ursprünglich geplanten 47890 auf etwa 56000 Goldmark. Die Brücke hat eine Spannweite von etwa 80 Metern und eine lichte Weite von 1,8 Metern. Im Gegensatz zu dem ersten Plan von 1904 liegt ihre Unterkante jedoch nur etwa 4 bis 4,5 statt 7 Meter über dem Normalwasserspiegel. Dass man die Brücke in der ursprünglichen Planung nicht ohne Grund so hoch über der Mulde anlegen wollte, zeigte sich spätestens bei den Hochwassern von 2002 und 2013. Da der Stadtwald mit dem Bau der Brücke nun das ganze Jahr über zugänglich war, ließ der Stadtrat zeitgleich eine Rodel- und eine beleuchtete Eisbahn im Stadtwald anlegen. Der sächsische Skiverband trug sich 1925 sogar mit dem Gedanken, im Stadtwald eine Sprungschanze anzulegen. Die Geländeverhältnisse waren hierfür gut und die Stadt unterstützte das Anliegen, jedoch ließ man den Plan aufgrund der eher schlechten Schneeverhältnisse wieder fallen.

Zur Erhebung des Brückengeldes setzte man vorläufig das alte Einnehmerhäuschen der Tonnenbrücke auf den Knöchel. Als Brückenwart fungierte Fährmann Alfred Seifert, die Geldeinnahme übertrug man Hermann Weiske. Ein festes Brückengeldkassiererhäuschen errichtete man 1925 nach dem Entwurf des Stadtkunstwarts und bekannten Grimmaer Malers, Walter Artus. Allerdings ging dem ein kleiner Streit voraus. Ursprünglich erstellte Stadtbaurat Otto Carl, welcher auch die Leitung des Brückenbaus innehatte, seiner Zuständigkeit entsprechend zwei Entwürfe, welche man dem Landesverein sächs. Heimatschutz zur Begutachtung vorlegte. Dieser fand die Gestaltung in Form eines kleinen Hauses für unpassend und lieferte eine Skizze für ein sehr schlichtes Brückenhäuschen, welche wiederum die Stadt ablehnte und einer der beiden Entwürfe Carls zur Ausführung bestimmte. Der Stadtkunstwart Walter Artus schloss sich dagegen der Meinung des Landesvereins an und lieferte auf Wunsch des Stadtrates einen Gegenentwurf. Um zu einer Entscheidung über die mittlerweile zehn Vorschläge zu gelangen, beauftragte man den Architekten Wels aus Leipzig mit der Prüfung der Entwürfe. Dieser entschied sich zugunsten von Artus mit der Einschränkung, dass der Entwurf noch architektonisch überarbeitet werden müsste. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, entschied sich der Stadtrat Anfang April 1925 für den noch leicht zu überarbeitenden Entwurf von Artus. Anfang November war das Häuschen fertiggestellt.

Die Brücke wurde ungeachtet aller Befürchtungen auch finanziell zu einem vollen Erfolg. Bereits im ersten Betriebsjahr nahm man von ca. 140000 Übergängen 9516 Mark ein, gegenüber von 1892 Mark Kosten. Im Jahre 1928 wurde die Marke von einer Million zahlender Nutzer überschritten, was im Durchschnitt etwa 650 Übergänge täglich bedeutete. Das anlässlich der Einweihung geäußerte Vertrauen in die Standfestigkeit der Brücke, welche Jahrhunderte überdauern würde, erfüllte sich dagegen nicht. Abgesehen von der kriegsbedingten Zerstörung (1945-1949), wurden immer wieder größere Reparaturen nötig. So wurde die Brücke beispielsweise am 1. November 1987 für etwa zwei Jahre gesperrt, weil die Tragseile irreparable Litzenbrüche aufwiesen und ersetzt werden mussten. Weitere sanierungsbedingte Schließungen folgten und die schweren Hochwasserschäden von 2002 und 2013 führten wiederum zu mehrjährigen Sperrungen. Im Juni 2015 konnte die Brücke wieder dem Publikum übergeben werden.

Peter Fricke, 2021