Industrialisierung
In der 2. Hälfte des 19. Jh. brachte der Eisenbahnanschluss Leipzig–Grimma–Dresden einen Aufschwung der Industrialisierung mit sich. Die Bevölkerungszahl hatte sich in Grimma zwischen 1840 und 1890 fast verdoppelt. Zwischen der Altstadt und dem Bahnhof setzte eine rege Bautätigkeit ein. Es entstanden schöne Villen, das Postamt aber auch neue Fabrikgebäude wie das der Papierwarenfabrik, der Senf- und Essigfabrik oder das der Walther-Werke.
Flussabwärts entstanden in unmittelbarer Nähe des Unteren Bahnhofes die Handschuhfabrik Händel und nach 1900 die Spitzenfabrik.
Die Papierfabrik Hermann Weißing
Der Unternehmer Hermann Weißing übersiedelte 1897 mit seiner Fabrik für dekorative Papierwaren von Leipzig nach Grimma. Die Firma expandierte rasch. Ende der 30er Jahre war der Betrieb die größte Spezialfirma der Karnevals- und Festartikelbranche in ganz Europa. Produziert wurden Papierlaternen und -girlanden, Militärrequisiten für Kinder und Kotillon-Artikel für Feste und Tanzvergnügen. Vor Beginn des 2. Weltkrieges beschäftigte der Betrieb in der Saison bis zu 1.400 Arbeitskräfte, einschließlich Heimarbeiter/-innen.
Zu den zahlreichen Kunden im In- und Ausland gehörte auch die Metropoliten Opera in New York.
Am 1. August 1948 wurde die Papierwarenfabrik zum volkseigenen Betrieb. Die Zahl der Arbeitskräfte betrug noch 200. Dazu kamen ca. 150 Heimarbeiterinnen.
Zu den ersten Nachkriegsprodukten gehörten an Fest- und Scherzartikeln u.a. Papierschlangen, Konfetti, Rüssel mit Vogelpfeife und Papierbüschel, diverse Hüte, Schirme, Fächer und schwerentflammbare Ballonlaternen.
Die Handschuhfabrik Händel
Im Jahre 1890 gründeten die Brüder August Moritz und Paul Händel an der Mulde in Grimma eine Handschuhfabrik.
Bereits 1876 hatte August Moritz Händel ein Lederhandschuhgeschäft mit Werkstatt in Leipzig erworben und dort die Produktion von Straßenhandschuhen aufgenommen. Sein Bruder Paul Händel betrieb seit 1884 eine Glacé-Handschuhfabrik in Joachimsthal bei Karlsbad.
Die Handschuhe der Brüder Händel wurden auf der Weltausstellung in Sydney 1879 mit einer Goldmedaille prämiert. Seither bestanden weltweite Geschäftsverbindungen.
Die wöchentliche Produktion erreichte am Anfang des 20. Jh. bis zu 10.000 Paar Handschuhe. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung durfte Leder nicht mehr für zivile Zwecke verwendet werden, wodurch eine Umstellung des Produktionssortiments notwendig wurde. Nach dem 2. Weltkrieg konnte die Straßenhandschuhproduktion wieder aufgenommen werden.
Am 1. Mai 1972 erfolgte die Verstaatlichung des Betriebes. 1976 musste die Lederherstellung und 1982 die Nappahandschuhproduktion eingestellt werden. Ab 1983 produzierte die Fabrik ausschließlich Arbeitshandschuhe.
Dank des letzten Betriebsleiters Günter Köhler konnten die alten Werkzeuge für die Straßenhandschuhproduktion, Kataloge, verschiedene Arbeitsmaterialien und eine reiche Musterkollektion an Damen- und Herrenhandschuhen aufbewahrt werden. Im Jahre 2009 wurden diese Dinge von der Familie Köhler als Dauerleihgabe an das Museum übergeben. Seit 2010 stellt unsere Einrichtung die Geschichte der Händelschen Handschuhfabrik in der Ausstellung vor.
Etuifabrik Reinhold Kühn
Kühn gründete sie am 10. September 1910 in der Klosterstraße 7. Anfänglich beschäftigte er in einem gemieteten Raum der an der Mulde gelegenen ehemaligen Realschule 2 Mitarbeiter. Von 1918 bis in die 30er Jahre entwickelte sich die Firma Reinhold Kühn zu einem der größten Etuihersteller. Bereits 1926 umfasste die breit gefächerte Produktpalette über 300 verschiedene Modelle in unterschiedlichen Material- und Farbkombinationen. In den 30er Jahren erhöhte sich die Palette auf über 600 Modelle. Das reichspatentierte Pappetui, Aluminium- und Zelluloidklappetuis, Monokeletuis aber auch Theaterglastaschen oder Lorgnettenkästchen gehörten zum Sortiment.
Im 2. Weltkrieg weigerte sich Reinhold Kühn Kriegsgüter in seiner Fabrik herzustellen. Auf Grund dessen wurde die Firma 1943 von den Nazis beschlagnahmt und in den HASAG –Verband eingegliedert, der nun in der Etuifabrik Kriegsgüter produzierte.
Im September 1946 erhielt Reinhold Kühn seine Etuifabrik durch die sowjetische Kommandantur zurück.
1972 ging die Etuifabrik in „volkseigenen Besitz“ über. Die
Verstaatlichung des Betriebes zog eine Bereinigung des Sortiments nach
sich.
Nach der politischen Wende waren die Betriebe der steigenden Konkurrenz auf dem Weltmarkt nicht mehr gewachsen. Die lohnintensive Handarbeit und fehlende Investitionen führten 1991 zur Schließung der Papier- und der Handschuhfabrik und 2004 zur Liquidation der Etuifabrik.